Der Mass Choir Workshop liegt hinter uns. Jetzt erst mal raus an die frische Luft. Der Kopf schwirrt noch von den vielen Eindrücken, auch ein leichtes Schweben ist noch spürbar. Jetzt trifft man auch so manchen wieder, der in der Halle im Block einer anderen Stimme gesessen hat. Also tauscht man sich aus, gönnt sich erst mal zur Erfrischung ein Kaltgetränk oder macht Erinnerungsfotos. Wie geht aber der Tag weiter?
Einige Ahlener Kollegen von CHORios zwischen Mass Choir und Aufbruch
Nachmittags stehen in der Innenstadt einerseits Workshops auf dem Programm, andererseits gibt es auf Open-Air-Bühnen und in Kirchen Konzerte. Wofür entscheidet man sich? Mancher hat schon zu Hause das umfangreiche Programmheft studiert und einen persönlichen Plan. Andere überlegen noch oder suchen Begleiter für die nächsten Stunden. Nach und nach lassen wir uns mit den schier zahllosen Einsatzbussen zum Auestadion chauffieren, von wo aus die Tram in die Innenstadt fährt. Sehr praktisch, dass im Ticket für den Gospelkirchentag gleich die Fahrkarte für den Nahverkehr eingeschlossen ist. Man mag sich gar nicht vorstellen, wenn tausende Ortsunkundige versuchen ein fremdes Tarifsystem inklusive Netzplan zu verstehen oder zu erfragen – Chaos! So jedoch geht alles ganz easy.
Noch ganz friedlich – wenige Minuten später unser Musik-Express
In der Tram herrscht gute Stimmung. Sind wir eigentlich alle Gospelkirchentagsbesucher oder haben sich tatsächlich Einheimische unter uns gemischt? Schlüsselbänder mit Tickets, die Regenbogenschals der Aktion „Gospel für eine gerechtere Welt“ und vielerlei Chorkleidung lassen uns fast wie eine geschlossene Gesellschaft erscheinen. Kein Wunder also, dass gleich ordentlich mit eingestiegen wird, als jemand ein Lied anstimmt. Dass die Mitsingenden verschiedenen Chören angehören macht sich gar nicht bemerkbar – haben wir doch soeben mehrere Stunden des gemeinsamen Singens und aufeinander Hörens hinter uns gebracht. Die meisten steigen am heute wieder mit der Bahn erreichbaren Königsplatz aus, der gestern aufgrund der Auftaktveranstaltung nicht angefahren wurde. Hier trennen sich jetzt unsere Wege.
In den Workshops wird so ziemlich jedes Thema rund um Gospel behandelt. Da findet jeder ein passendes Angebot – ob Praxis oder Theorie, für Anfänger oder Fortgeschrittene. Man kann lernen und ausprobieren, Kontakte knüpfen und sich Anregungen holen. Mancher hat bei der Auswahl ein ganz bestimmtes Thema im Sinn, anderen ist es wichtiger mit bestimmten Leuten gemeinsam etwas zu unternehmen. Die Dozenten sind jeweils Fachleute aus dem entsprechenden Bereich.
Konzerte gibt es sowohl auf Open-Air-Bühnen als auch in Kirchen der Innenstadt. Das Programm ist bunt gemischt, deutsch und international. Eine Besonderheit stellt die Hessenbühne auf dem Opernplatz dar, wo die Veranstalter den hessischen Chören eine Präsentationsmöglichkeit geben, und wo sich das Publikum eine Übersicht über die Gospelszene des Landes verschaffen kann. Außerdem finden mehrere Offene Gospelsingen mit namhaften musikalischen Leitern statt – just for fun, um selbst aktiv zu werden
Wir trennen uns also und streben verschiedenen Zielen zu. Ich habe mich mit Ankie zusammengetan und wir wollen zu „Groove im Chor“. Da sich der Weg zum Veranstaltungsort einigermaßen zieht und die Zeit drängt, steigen wir spontan wieder in eine Tram, die direkt vor der Tür des Zieles hält. Super. Rechtzeitig geschafft. Hoffentlich ist der Workshop nicht überfüllt, so dass wir draußen bleiben müssen, wie ich es einmal beim letzten Gospelkirchentag in Dortmund erlebt habe. Aber nichts da – wir gehören zu den Ersten. In den Minuten bis zum Beginn strömen noch viele Leute in den kleinen Saal; immer schwungweise, so wie die Trams ihre Ladung vor der Tür abliefern. Jetzt sind wir mal gespannt, was jetzt passieren wird.
Leiter des Workshops ist Martin Carbow. Nach Auskunft des Programmheftes arbeitet der Vocal-Coach u.a. als Chorleiter und Arrangeur. Carbow stellt sich kurz vor, alles im lockeren Plauderton. Der wird sich auch die folgende Stunde nicht ändern – egal, was wir jetzt auch machen. Genau genommen weiß niemand, wie der Workshop ablaufen soll. Wir singen ein bisschen. Außerdem wird gestampft, geklatscht und geschnippt. Wann geht es endlich richtig los?! Bin ein bisschen verwirrt. Jetzt wird etwas vom Laptop an die Wand geworfen: „Beat im Körper verankern“. Okay, das können wir nachvollziehen, das haben wir gerade gemacht. Immer noch ein wenig Verwirrung. Neue Übung, eine kleine Melodie auf ha-ha-ha. Jetzt dasselbe auf he-he-he. Wirkt vollkommen anders. Anschließend auf ho-ho-ho. „So, jetzt singt wie Fußballfans“. Aus dem Singen wird eher ein Rufen. „Eure Mannschaft hat gewonnen“. Das Rufen bekommt einen eigenartig selbstbewusst-machomäßigen Unterton. „Ihr habt das eine oder andere Bier getrunken“. Jetzt klingt es eher gegröhlt, die Lautstärke ist deutlich erhöht. „Es ist Euch scheißegal, ob Euch einer hört!“ Uih, das geht aber ab. Gut, dass mich in Kassel keiner kennt! Wie mag sich dieser Lärm wohl für andere im Gebäude befindliche Personen anhören.
Was das alles soll? Allmählich dämmert uns das didaktische Konzept. Schon winzige Veränderungen können eine große Wirkung haben. Das haben wir soeben mehr als deutlich gespürt; es v.a. nicht vorgeführt bekommen, sondern mit dem eigenen Körper erlebt. An der Wand zeigt uns die Projektion inzwischen die vier Schritte zum perfekten Groove. Angesichts der Fachbegriffe sind wir geschockt, verstehen als Nicht-Musikstudenten nur Bahnhof. Carbow beruhigt uns. „Alles was zum perfekten Groove gehört, kennt Ihr längst.“ Stimmt. Es muss uns nur an lebendigen Beispielen deutlich vor Augen geführt werden. Carbow nutzt witzige und schräge Bilder, um uns die musiktheoretischen Inhalte praktisch vorzuführen. Beim Thema Groove werde ich ab sofort immer an Einkaufswagen und Gummimatten denken – die Insider wissen Bescheid.
Carbow genießt es uns mit Fachbegriffen zu schocken – alles halb so wild
Am Ende des Workshops haben wir so manchen Aha-Effekt erlebt. Wir wissen, dass man durch winzige Abweichungen vom Stammrhythmus eine besondere Dynamik und Spannung erzeugen und beim Publikum geradezu eine Erwartungshaltung wecken kann. Außerdem hat es echt Spaß gemacht mit netten Leuten viele verrückte Dinge ausprobiert zu haben.
Als wir den Saal verlassen, starren uns etwas irritiert viele Leute an, die bei der Wiederholung des Workshops dabei sein wollen. Was die sich wohl angesichts der Geräuschkulisse gedacht haben mögen? Das letzte Lied war übrigens ein Weihnachtslied. Im September!
365 Tage Badewetter – Dusche am Nachmittag….………………….© Creative Kirche
Der Regen, der zwischenzeitlich niedergegangen war, hat inzwischen aufgehört. Mit der Tram fahren wir ohne besonderen Plan zurück zum Königsplatz. Dort herrscht eine heitere Stimmung. Die Sonne ist inzwischen rausgekommen und auf der Bühne gibt’s Livemusik. Noch sind Ten Sing aus Hessen aktiv, dann folgt der Auftritt von Gospel Connection aus Bremen – klasse.
Gospel Connection auf der Bühne auf dem Königsplatz………….© Creative Kirche
http://www.youtube.com/watch?v=rq5wsMz7gcU&list=UUtn9ykXa8dXSOrG_i5EHKww
Wir lassen uns ein wenig treiben, wie so viele andere auch. Schließlich gönnen wir uns eine warme Mahlzeit vom Imbiss, hören Musik, plaudern ein wenig und genießen einfach das hier und jetzt. Als das Chris Lass Trio startet, denken wir das erste Mal daran, dass nachher der Musicalbesuch ansteht. Wie lange werden wir bis zur Rothenbachhalle brauchen? Schwer einzuschätzen. Auf den letzten Drücker wollen wir nicht kommen, denn wir möchten die Aufführung gerne im Kreise unserer Lieben erleben. Noch ist allerdings Zeit.
Gospelkirchentag live auf dem Königsplatz – alles passt
Inzwischen fahren die ersten Trams mit dem Hinweis „Einsatzwagen Auestadion“. Die Verkehrsbetriebe haben ordentlich Betriebsmittel auf Schiene und Straße gebracht, um einige Tausend Menschen von der Innenstadt zum Messegelände zu transportieren. Irgendwann steigen wir ein. Und schon an der nächsten Station wieder aus. Vom Opernplatz klingt die Musik zu verlockend. Auf der Bühne singt gerade die Kurhessische Kantorei „Joy of Life“ aus Marburg. Herrlich swingend. Im Schnitt sind die gesanglichen Fähigkeiten höher als beim Gospeltrain, viele sicher mit Soloqualitäten. Im Laufe des Auftritts wird der Chor aber immer klassischer, immer jazziger. Das gefällt Ankie und mir dann weniger gut. Da ist der gute alte Train unserer Meinung nach wieder im Vorteil. Bei uns ist mehr Leben drin, mehr Gospel, irgendwie echter und authentischer.
Die Hessenbühne auf dem Opernplatz, unter dem Denkmal von Louis Spohr
- Von Louis Spohr weiß das HNA-Regiowiki zu berichten, dass dieser ein Komponist und Dirigent war, zeitweise Hofkapellmeister in Kassel und neben Paganini einer der berühmtesten Violinvirtuosen seiner Zeit war. (HNA= Hessische/Niedersächsische Allgemeine). Also ganz große Kunst.
Dann können wir uns jetzt auch auf den Weg zur Rothenbachhalle machen. Aber wen sehen wir da an der Haltestelle? Birgit und Danny, die uns begeistert von ihrem Workshopbesuch erzählen. Die beiden, die bei uns auch Soloparts übernehmen, waren in Sachen Stimmbildung unterwegs. In ihrem Workshop haben sie wohl unglaublich viel Input bekommen, was die Zusammenhänge bei der Lautbildung und die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten angeht. So vergeht die Fahrt zur Halle bei interessanten Erzählungen über die Erlebnisse des Nachmittags.
Mehr zur Musicalaufführung „Amazing grace“ in Teil 5.