Was für ein winterliches Schmuddelwetter: Regen, Schneereste, Sorge um Eisglätte. Die Straßen um die St. Nikolaus-Kirche in Münster-Wolbeck sind bei unserer Ankunft menschenleer. In der typisch westfälischen Hallenkirche ist es zwar recht kühl, doch hell und einladend.
Die gelungene Ausleuchtung unterstreicht die Architektur
In einer Ecke befindet sich noch eine sehr große, wöchentlich umgestaltete Wandelkrippe, die heute die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten zeigt.
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Wir beginnen mit der Stellprobe. Gar nicht so einfach, denn wir nähern uns zahlenmäßig der Bestbesetzung. Die drei Stufen zum Altarraum bieten in der Breite zwar schon viel Raum, dennoch etwas zu wenig für uns alle. Chorleiter Sebastian Wewer korrigiert hier und da, und schließlich finden alle ihren Platz.
Anweisungen bei der Stellprobe. Bitte aufrücken – dann passt es
Haben doch noch alle ihren Platz gefunden
Unter den Augen eines Neu-Gospeltrainers, der dieses Konzert noch aus Zuschauersicht erleben möchte, findet routiniert das Einsingen statt. Akustisch bietet die Kirche einiges; der lange Nachhall ist bei deutlicher Aussprache unproblematisch. Wir scheinen ganz gut bei Stimme zu sein. Der Raum ist nur leicht geheizt – zum Singen ideal.
Viele noch warm eingepackt © H.Rath
Irgendwie herrscht in der Truppe eine gewisse Unruhe. Ist’s Lampenfieber? Oder Vorfreude, dass es gleich endlich los geht nach langer intensiver Probenarbeit? Erste Gäste treffen ein und erleben unsere letzten Vorbereitungen.
Heutige Besetzung des Gospeltrains © H.Rath
In einem Nebenraum haben wir noch einige ruhige Minuten für uns, die jeder individuell nutzt: ein Schluck Wasser oder Tee, ein Biss ins Pausenbrot, ein letzter Blick auf’s Handy. Da wird die Auftrittskleidung noch einmal gerichtet oder ein Halsbonbon rausgekramt. Dann geht es in die Kirche auf die für uns reservierten Plätze.
Kleine Stärkung – Vorbereitung ganz individuell
Ein paar Minuten warme Luft für kalte Füße
Die Begrüßung der Besucher seitens der gastgebenden Gemeinde übernimmt Kirchenmusiker Thorsten Schwarte. Bei der Gelegenheit erfahren wir, dass unser Konzert der Auftakt zur Konzertreihe des Jahres 2015 ist. Interessant zu wissen. Nach einem Blick auf unser ausliegendes Programm verrät er der Gemeinde, man könne sich auf Bekanntes und Unerhörtes freuen. Auf den eben noch geübten Einzug verzichten wir spontan und begeben uns direkt in Auftrittsposition.
In der Kirche ist es ganz leise. Das Publikum wartet gespannt auf den Beginn des Konzerts, das lautstark mit dem fanfarenartigen Auftakt des ersten Titels „Joshua fits the battle of Jericho“ startet. Die Rufe kommen schön sauber rüber, die Akustik unterstützt den gewünschten Effekt. Das Lied ist vielen im Auditorium bekannt, und so singen einige leise für sich mit. Immer wieder spannend zu sehen, ob sich die Zuschauer zunächst passiv verhalten oder ob sie früh aktiv werden. Zum Schluss werden die Mauern Jerichos symbolisch durch Stampfen eingerissen.
Achtung, es geht los … „Joshua!“ tönen die Fanfaren © H.Rath
Sebastian begrüßt nun unsererseits die Zuhörer und sagt sogleich „Shine your light“ als zweiten Titel an. Dabei verweist er auf die inzwischen starke europäische Gospelszene, aus der dieses Lied stammt. Wir beginnen sehr dosiert, wie geprobt. Die Akustik macht es uns leicht, uns selbst zu kontrollieren. Umso beeindruckender kommt dann die interne Steigerung zur Geltung. Solistin Gabi verzaubert mit ihrer Stimme, die Nervosität hat sie Dank Sebastians Unterstützung im Griff.
Auch im nächsten Lied kommt mit Danny eine Solistin zum Einsatz. „Hallelujah, Immanuel“ ist eine noch recht junge Komposition, die aber einiges zu bieten hat. Wie gut, dass wir die Dosierung von Lautstärke und Temperament kürzlich noch in einem Workshop geübt haben – hier können wir deren Bedeutung live erfahren. Wir sind mit uns zufrieden.
Sebastian wendet sich den Menschen zu und fragt diese, ob man das „Taizé-Halleluja“ kenne. Ein kurzes Ansingen verleiht der Frage Nachdruck. – Klar, das kenne man. – Zuvor hatten schon einige während der Lieder mit geklatscht. Jetzt gibt es durch eine kleine Übung Nachhilfe, um gospeltypisch auf die Takte 2 und 4 zu klatschen, statt im Marschrhythmus auf 1 und 3. Klappt sofort im ersten Versuch. Wir stellen nun unsere Version des Hallelujas vor, deutlich schneller und beschwingter als in der geläufigen Kirchenversion zuvor. Das Publikum nimmt die Vorgabe gut auf und singt und klatscht engagiert mit, stehend wohlgemerkt. Während des gemeinsamen Singens wird auch noch ein Kanon daraus entwickelt; ohne lange Erklärungen, sondern nur durch knappe Ansagen und Gesten. Klappt prima.
Der Titelsong unserer Konzerte, „Loved“, steht nun auf dem Programm. In der Vorabendmesse Anfang Januar ist dieses Stück erstmals von uns öffentlich gesungen worden. Die Leistung war damals in Ordnung, doch das gewisse Etwas fehlte noch. Heute kommt es erheblich ausdrucksstärker rüber. Was ein wenig mehr Übung und Sicherheit ausmachen! Vielleicht hat auch die Einleitung des Chorleiters dazu beigetragen, der soeben davon sprach, das Gottes Liebe überall und ewig sei. Auch in jedem Lächeln spräche Gott; man solle im Alltag häufiger mal ein Lächeln verschenken, gerade wenn es nicht erwartet wird, regt er an. Solistin Birgit singt zum Auftakt, bevor der Chor einsetzt. Am Ende sind wir sehr zufrieden, es klingt wunderbar. Mancher Gospeltrainer mag an den Workshop mit Kirsten G. denken, wo an der Verbindung von Inhalt und Ausdruck gearbeitet wurde.
In der nächsten Anmoderation wird auf die Besonderheit des folgenden Liedes hingewiesen, denn im Gegensatz zu vielen anderen Songs spricht hier Gott zu den Menschen, statt die Menschen zu Gott. „I will be there“ ist ein Versprechen, das Zuversicht vermitteln kann. In unserem Arrangement wird eine musikalische Verbindung zum nächsten Stück „Let me fly“ geschaffen – thematisch eigentlich eine logische Folge: wer Zuversicht und Liebe erfährt, der fühlt sich leicht und unbeschwert. Bei vielen Gospeltrainern kommt bei diesen Titeln wohlige Erinnerungen an Gospelkirchentage auf, denn die dortige Stimmung wird hier wiederbelebt.
Eine ähnliche heitere Atmosphäre vermittelt auch der Gospel „Heaven is a wonderful place“. Der Text vermittelt die Hoffnung auf ein besseres Jenseits, was für alle diejenigen besonders attraktiv ist, deren diesseitige Lebenssituation grau und belastet ist.
Die Hälfte des Konzerts ist inzwischen absolviert, uns wird eine kurze Trinkpause in den Bänken gegönnt. Während dessen spielt Sebastian ein Instrumentalstück auf dem Keyboard. Anschließend geht es mit dem Beitrag „Holy is the lamb“ weiter. In den Proben hatten wir immer mal wieder davon gesprochen, wie es wohl sein möge, wenn man diesen Song bei einer guten Akustik sänge. Ganz zart und zurückgenommen gehen wir dieses Stück an, und doch durchdringt der Gesang die ganze Kirche. Andächtig hören die Menschen zu und lassen sich tragen. Obwohl sich das Lied von Strophe zu Strophe steigert und energischer wird, bleibt eine große Leichtigkeit. Die Musik zeichnet quasi die Entwicklung von einer persönlichen Erkenntnis bis zu einem öffentlichen Glaubensbekenntnis nach. Der Applaus des Publikums passt genau zum Wesen des Songs – intensiv, aber nicht tobend; man hat ein feines Gespür für die Stimmung.
Wenn jemand schon ein solches Bekenntnis ablegt, dann liegt die Bitte nahe, Gott möge die Schritte desjenigen lenken: „Order my steps“. Zwar ist dieses Stück gar nicht so einfach zu singen, wenn man alle Nuancen korrekt ausdrücken möchte, und auch die Textfülle stellt eine Herausforderung dar, doch es geht um eine ganz zentrale Bitte eines jeden Gebetes. Vielleicht passt es deshalb zu so vielen Gelegenheiten – wenn man sich die Mühe macht, sich mit dem Text zu beschäftigen. Ein Gassenhauer, bei dem man in den Bänken tanzt, wird dieses Lied allerdings nie. Der aufmerksame Zuhörer wird dessen innere Werte aber sehr zu schätzen wissen.
Hohen Wiedererkennungswert hat L.Cohens „Hallelujah“, unser Hit für den besonderen Moment. Wie überall kommt dieses Werk gut an, auch hier in Wolbeck singen etliche Zuschauer mit. Solange wir ruhig bleiben und nicht hetzen, entsteht ein zeitlos schönes Stück Musik, das man immer wieder gerne hört.
Gospeltrain geht seiner Leidenschaft nach © H.Rath
„Lord, hold me“ gehört seit dem Gospelkirchentag 2012 in Dortmund, wo wir es kennen gelernt haben, zu unseren Lieblingsliedern. Seit dem haben wir es oft gesungen, bei verschiedensten Anlässen. Für die Konzerte im Jubiläumsjahr hat Chorleiter Wewer ein Medley mit diesem Song am Anfang entwickelt. Diesem innigen Auftakt schließt sich als Bridge „I belong to you“ an, thematisch passend. Dieser Übergang intensiviert sich zunehmend, indem die Stimmen vom zarten Sopran bis zum dunklen Bass nacheinander einsetzen. Faszinierend, wie die verschiedenen Stimmen und Melodien schließlich zu großer Klangfülle harmonisch verschmelzen. Quasi als Höhepunkt wird nochmals der Refrain von „Loved“ gesungen. Die Premiere dieses Arrangements vor Publikum ist absolut gelungen und hat nicht nur das Publikum, sondern auch uns in seinen Bann gezogen.
Auch die Besucher sollen nun erneut Gelegenheit zum Mitsingen bekommen, nachdem die zuletzt vorgetragenen Songs weit weniger bekannt waren. Echte Gospelohrwürmer, deren Melodien auch mit deutschen Texten inzwischen weithin bekannt sind, werden gleich von uns gemeinsam mit den Zuschauern zeitgleich als Triplett gesungen. Chorleiter Sebastian holt sich als erstes Schwester Maria Elisabeth, einem jetzt in Münster lebenden Gründungsmitglied unseres Chores, aus dem Publikum und reiht sie bei uns ein. Sie müsse keine Sorgen haben – die Lieder kenne sie alle. Anschließend leitet er Publikum und Chor an, nacheinander „Go, tell it on the mountain“, „He’s got the whole world“ und „Rock my soul“ zu singen. Schließlich singen alle Anwesenden, in Gruppen eingeteilt, die drei Songs gleichzeitig. Die meisten machen aktiv mit und füllen den ganzen Kirchenraum mit Musik.
Auf diese quirlige Aktion lassen wir mit „Deep river“ ein ganz ruhiges Stück folgen; ein gewaltiger Unterschied, der allen die Vielfalt der Gospelmusik verdeutlicht. Dass wir daran zuletzt intensiv geprobt haben, ist dem Auftritt deutlich anzumerken. Die notwendige Sicherheit ist da, um dem Gesang eine große Ausstrahlung zu verleihen.
Auch wenn im Triplett eben schon „Rock my soul“ gesungen wurde, möchten wir es noch einmal in unserer Battleversion vorstellen. Bässe und Tenöre gehen Richtung Publikum und stellen sich dem sonstigen Chor direkt gegenüber auf. Es erfolgt ein – gespielter – Kampf der hohen und tiefen Stimmen gegeneinander, die einander abwechseln und aufeinander antworten. Den Zuschauern gefällt die Aktion und auch wir haben unseren Spaß daran; läuft es doch vor jedem Publikum immer etwas anders ab.
Zum Abschluß steht „All night, all day“ auf dem Programm, oft genug als Segenslied zum Abschluss einer Veranstaltung ausgewählt. Es beginnt mit dem engelhaften Refrain des Soprans, was wie ein zärtliches Wiegenlied klingt. Auch die Strophen und der Einsatz der anderen Stimmen bleiben weiterhin relativ leise und weich. Gänsehautstimmung. Dabei bleibt es aber nicht, denn der letzte Durchgang wird kräftiger und swingender im „Gospelmodus“ gesungen; zudem wird dazu geklatscht. Ein schönes Ende einer gelungenen Veranstaltung. Wir bekommen verdienten Applaus und freuen uns über die geglückte Premiere des Jubiläumsprogramms.
Noch lässt man uns nicht ziehen, und so bekommt das Publikum noch eine Zugabe. „Oh, happy day“ passt zur Situation und wird immer wieder gerne gehört. Ausgerechnet bei diesem so oft gesungenen Klassiker verpatzen wir den Auftakt. Vielleicht haben wir nach der Erleichterung über die bestandene Premiere die Spannung etwas abfallen lassen. „Live is live“ heißt es ans Publikum gerichtet und wir fangen lächelnd noch einmal an. Diesmal sitzt alles, und Solistin Andrea und der Chor singen mit gewohnter Sicherheit.
Den endgültigen Schlusspunkt setzt unser Auszug mit nochmaligen „All night, all day“. Von den Stufen des Altarraums ziehen wir durch den Mittelgang Richtung Turmeingang. So nach und nach verlässt das Publikum die Kirche, wobei viele Gäste noch das kurze Gespräch mit uns suchen und sich für den Auftritt bedanken. Auch für uns war es ein Erlebnis. Besonders interessant war die Erfahrung, wie manche Lieder in dieser Akustik klingen. Unser Übungsraum im heimischen Pfarrheim ist ganz okay, doch die dortige Holzdecke schluckt dennoch einigen Klang. In der St. Nikolauskirche wirken manche Details viel besser, denn der Klang hat viel Raum, um sich auszubreiten. Einige Lieder klingen nicht langsam aus, sonder haben ein abruptes Ende. Toll, dass nach dem Abwinken Sebastians wirklich absolute Stille herrscht. Dieser Effekt wirkt hier in Wolbeck natürlich viel knackiger. So bringt jeder Auftritt, jedes Publikum und jeder Auftrittsort für uns neue Erfahrungen, die unserer Entwicklung wichtige Impulse verleihen.
– Denn nach dem Konzert ist vor dem Konzert. Schon in wenigen Tagen sind wir in der Christuskirche in Beckum zu Gast.