Am vergangenen Wochenende haben in der Friedenskirche in Unna-Massen etwa 75 Menschen an einem von der dortigen Ev. Gemeinde veranstalteten Gospelworkshop teilgenommen. Darunter waren erfreulicherweise fast 20 jugendliche Konfirmanden und auch zwei Gospeltrainerinnen. Musikalischer Leiter war der bekannte Gospelsänger/-musiker/-workshopleiter Helmut Jost. Am Beispiel dieser Veranstaltung soll darüber berichtet werden, was man bei Workshops erleben und lernen kann, auch wenn nur einzelne Mitglieder des Trains daran teilnehmen.
Der Workshop
Erst mal vorweg: es war toll!!! Von Anfang an herrschte eine angenehm entspannte Atmosphäre. Viele Teilnehmer kannten sich, die Neulinge fanden aber gleich unkompliziert Anschluss. Wir hatten schließlich ein gemeinsames Ziel: viel lernen, dabei Spaß haben und am Sonntagabend einen gelungenen Auftritt beim Abschlussgottesdienst hinlegen.
Als erstes sollte mit dem Einsingen „der Kopf aufgemacht werden“. Die eigentlichen Übungen drehten sich im Wesentlichen um die Lautbildung rund um die Vokale. Nach dem Prinzip „wiwowiwo“, wobei Vokale und Umlaute gegeneinander ausgetauscht wurden, sollte nachgesungen werden – mal in die Höhe, mal in die Tiefe. Je unterschiedlicher die Vokale geformt werden mussten, umso schneller musste man mit dem Mund werden. Eine echte Wachmachübung. Für den Gottesdienst hatten Helmut Jost und Pastor Detlef Main neun Lieder ausgewählt. Zwar kannten manche Teilnehmer einzelne Titel, doch es wartete eine ganz schöne Herausforderung auf uns. Wie sollte man diese Mengen von Text in knapp zwei Tagen bewältigen?
Das Einüben der Songs bis zur Auftrittsreife erfolgte nach einem mehrstufigen Konzept:
- Die Lieder wurden nacheinander zunächst zu 70% eingeübt, um bis zum Ende des ersten Tages alles einmal kennen gelernt und eine solide Grundlage geschaffen zu haben. Der Feinschliff sollte am zweiten Tag über viele Wiederholungen erfolgen.
- Am nächsten Tag gab es nach dem Einsingen einen kompletten Durchlauf aller Lieder, um zu sehen, was vom Vortag hängen geblieben ist. Gar nicht mal so übel.
- Beim erneuten Durchlauf wurden die Übungen intensiviert, d.h. nur die reinen Chorpassagen gesungen, Instrumentalpassagen und Soli weggelassen. Nun wurden die Problemstellen besonders deutlich.
- Beim letzten Arbeitsdurchlauf ging es ganz speziell um diese „Baustellen“.
- Zum Abschluss folgte die Generalprobe mit Stellprobe, Komplettdurchlauf und Übung des Einzugs. Bei den Konfirmanden, denen Helmut Jost als Anerkennung ihrer aktiven Teilnahme kurzfristig noch ein Solo bei „We can move mountains“ geschenkt hatte, stieg die Aufregung in besonderem Maße. Für viele der Teenies war ein Auftritt mit einem selbst erarbeiteten Programm vor vollem Haus bestimmt eine ganz neue Erfahrung. Erfahrenere Chorsänger schmunzelten und dachten an die eigenen Anfänge.
Generalprobe lief super – Helmut Jost hatte fast „Angst“ vor dem Auftritt
Ein besonderes Augenmerk bei allen Durchgängen lag auf dem Üben der Übergänge zwischen Strophen, Refrains und den Soli, die Jost selbst übernahm, so dass man in den Genuss von dessen Können kam. Das Üben war viel Arbeit, hat sich aber gelohnt und schließlich seien wir laut Workshopleiter „nicht zum Vergnügen hier“. Was haben wir gelacht; der gute Helmut war jederzeit für ‘nen lockeren Spruch gut. Besonders gut hat mir der von der „Stimme als Schicksalsgemeinschaft“ gefallen, mit dem er die Mitglieder der Einzelstimmen aufeinander einschwor. Immer wieder kam die Aufforderung: zuhören, ihm ins Gesicht schauen und dann aktiv mitmachen. Es gab niemals Negativkritik, immer wurde positiv das bereits Erreichte angesprochen. Als dann doch mal das Wort „meckern“ fiel, waren wir fast erschrocken; ätsch, war nur wieder ein Spruch um die Konzentration hoch zu halten. Der Mann am Keyboard hatte sowieso eine leicht verständliche und bildhafte Sprache: mal sollten wir „nicht pennen“, dann „nach vorne singen“, die Stimmung eines Liedes wurde als „freundlich und hell“ beschrieben. Derartige Anweisungen waren sofort klar und konnten wie die vielen ganz konkreten Praxistipps direkt umgesetzt werden, auch von workshop- und chorunerfahrenen Neulingen. Am Nachmittag des zweiten Tages gab es ein bis dahin noch nicht vorgekommenes Lob („Jetzt beginnt Ihr den Text zu interpretieren“), das die nächste Stufe des Lernerfolgs dokumentierte.
Ganz nebenbei erfuhr man etwas über das Wesen der Gospelmusik. So trügen die Zielworte im Text die Botschaft, alle anderen Worte seien eher Füllmasse. Die Zielworte spielten dann beim Verständnis von Sprachrhythmus und Dynamik eine wesentliche Rolle, einem weiteren Lernziel des Workshops. Den Rhythmus lernten wir über Sprechübungen aufzunehmen, die Dynamik wurde uns durch das von intensiver Mimik und Körpersprache begleitete Vorsingen einzelner Passagen durch den Dozenten vermittelt. Am Beispiel des Stückes „We can move mountains“ von Hans Christian Jochimsen erklärte uns H. Jost zwischendurch die Wirkung von Kompositionsdetails. Er lobte den Urheber, da die Komposition die Textaussage optimal unterstützt. Uns wurde demonstriert, wodurch der auffordernde Charakter des Songs erzeugt wurde. Mehrfach wurde die entsprechende Passage in minimal veränderter Form angespielt – die Stimmung war sofort verändert und der Text verpuffte in der Belanglosigkeit.
Kurz vor dem Ende unserer Übungszeit kam noch mal die enorme Textmenge zur Sprache. Laut Jost geht nichts über das ständige auswendig lernen. Während der zwei Tage haben wir immer versucht, zunehmend seltener auf die Textblätter zu schauen. Vom Leiter bekamen wir vor jeder Zeile das Anfangswort angesagt, so dass unser Erinnerungsvermögen aktiviert und gefordert wurde. Diese Methode war recht wirkungsvoll und wurde auch beim Auftritt angewandt, ohne dass dies dem Gesamteindruck geschadet hätte. Außerdem war auch dem Publikum klar, dass wir in zwei Tage ein enormes Pensum absolviert hatten, das in der Zeit nicht zu absoluter Perfektion reifen konnte. In diesem Kontext wurde auch das chorische atmen erklärt, bei dem jeder zeitversetzt zu den anderen atmet, wann immer man es individuell braucht. So entstehen keine unangenehmen gemeinsamen Atempausen und im Gesamtchor können auch lange Textpassagen jederzeit kraftvoll durchgesungen werden. Auch das Publikum war immer wieder Gegenstand der Erläuterungen. Es ging darum, die Zuschauer gleich von Anfang an wach zu machen und einzubeziehen. Liedauswahl, gelungener Auftakt und emotionale Ansprache durch die Musik seien hier die entscheidenden Weckmittel.
Der Auftritt
Nach der ganzen Arbeit sollte um 18.00 Uhr mit einem Gottesdienst die Krönung des Workshops erfolgen. Pünktlich wurde in der inzwischen proppevollen Kirche Aufstellung zum Einzug genommen. Trotz der vielen aktiven SängerInnen verlief dieser zum heiter-schwungvollen Lied „I’m gonna keep on singing“ reibungslos. Nach der Begrüßung des erwartungsvollen Publikums erklang der sich wellenartig aufschaukelnde Titel „Lead me, guide me“, der schon ordentlich Stimmung in die Kirche brachte. Es stellte sich heraus, dass das offensichtlich durchaus gospelerfahrene Publikum gar kein Weckmittel brauchte, wir hatten sie recht schnell für uns eingenommen. Mit dem wunderbar zarten und dennoch intensiven „Come closer” beruhigte sich die Stimmung wieder und man hörte eher andächtig zu. Bevor es aber zu emotional wurde, brachte der Song „Soon be done“ mit mehr Rhythmus und Dynamik wieder Schwung in die Kirche. Der nun folgende ruhigere Titel „He touched me“ lieferte das Motto für diese Gospelmesse und das Thema für die Predigt. „Restore my soul“ war dann eine logische Ergänzung der Thematik und brachte das längst mitsingende Publikum ins wippen.
Im Gegensatz zu uns konnten die Besucher die Texte mitlesen, die per Beamer auf eine von uns nicht einsehbare Kirchenwand projiziert wurden. Wir mussten uns also allein mit Helmuts Ansagen durch die Textmengen kämpfen. Insgesamt klappte es recht gut, einzelne kleine Hänger fielen in der großen Gruppe überhaupt nicht auf, weil die Schwächen der einzelnen ja nicht gleichzeitig auftraten. Eine ganz neue Erfahrung war, dass auch auffällig viele Ältere die englischen Texte mitlasen und mitsangen. Unna-Massen scheint ein gutes Pflaster für Gospel zu sein, die vielen Gäste und die sehr aktive Teilnahme sprachen Bände.
Das Publikum war sehr aktiv dabei
Das nun folgende „Just like he said he would” brachte die Kirche nun zum kochen; man stand und sang mit. Bei „We can move mountains„, dem Mottosong des diesjährigen Gospelday (22.09.2012), hatten endlich die Jugendlichen ihren großen Auftritt, indem sie Strophe und Refrain erstmals ohne die Erwachsenen sangen. Die hellen jungen Stimmen waren schon sehr anrührend, die anderen Stimmen brachten im Anschluss dann eine große Fülle in den Gesang, der ohne den besonderen Vorlauf der Teenies gar nicht so aufgefallen wäre. So schön kannten wir das Lied noch gar nicht. Zum Schluss sollte „Peace shall be with you“ einen besinnlichen Schlussakzent setzen und den Gottesdienst abschließen. Dies gelang nur teilweise ;-). Das Lied wurde zwar ganz wunderbar weich vorgetragen, doch das Publikum hatte noch lange nicht genug. Also bekamen die Leute die ersehnte Zugabe, die mit langem Schlussapplaus belohnt wurde. Unser Repertoire war erschöpft, wir selber zufrieden und abgekämpft nach Workshop und Auftritt. Aber wie bekommt man die feiernden Menschen aus der Kirche? Indem man das Einzugs- zum Auszugslied umwidmet und vor den Besuchern nach draußen zieht.
Schlussapplaus und Verabschiedung durch Pfarrer D. Main
Rückblick
Was bleibt nach zwei Tagen Gospel intensiv? Mit Sicherheit viele gute musikalische und menschliche Erfahrungen. Man hat unglaublich viel erlebt und gelernt, mal schwungvoll – mal eher melancholisch. Man erinnert sich an viele begeisterte Gesichter, sowohl im Publikum als auch bei den SängerInnen. In jedem Fall war der Workshop eine Bereicherung für alle TeilnehmerInnen, und auch Helmut Jost hatte offensichtlich seine Freude an diesem erfolgreichen Wochenende.
Ein persönlicher Nachtrag: wie anstrengend es ist, über Stunden die Konzentration hoch zu halten, merkt man spätestens am Abend zu Hause, wenn man völlig erschöpft ins Bett fällt. In tiefster Nacht war ich dann plötzlich hellwach und hatte einen der gesungenen Titel als Endlos-Ohrwurm im Kopf und viele Ideen und Formulierungen für diesen Bericht. Da musste wohl viel Input verarbeitet werden…
Auch ich war beim Workshop dabei, zum 2.Mal. Meine Tochter hat mich begleitet,denn auch sie ist eine begeisterte (Gospel)sängerin. Am Gospelday, in der Stadtkirche haben wir zwei dann auch mitgesungen. Leider waren aber aus Massen, wo wir auch einen Chor haben (der Come on and Sing- Chor),nur wir zwei dabei. Auf dem Bild vom Workshop bin ich sogar zu erkennen, rotes Shirt ohne Brille.
Vielen Dank für Deinen Kommentar. Uns beiden Teilnehmerinnen hat es super gefallen. Vielleicht ist der Gospeltrain nächstes Jahr mit mehr Leuten dabei.